Scheitern gehört zum Leben wie Atmen, Essen und Schlafen. Ohne Scheitern ist kein Lernen möglich. Wenn wir Babys und Kleinkinder beobachten, dann sehen wir, wie unbekümmert und selbstverständlich diese noch mit dem eigenen Scheitern umgehen. Frei von jeglichem Leistungsdruck probieren sie Dinge immer wieder aus und bleiben dabei ausdauernd und neugierig. Der Weg ist das Ziel!
Möglich ist dieses Verhalten vor allem durch die stark intrinsisch geprägte Motivation. Niemand sagt einem zwölfmonatigen Kind: „Bitte steh auf und fang das Laufen an.“ Oder einem Baby: „Bitte bemühe dich, diese Rassel zu halten.“ Die Kinder spielen, probieren, entdecken und haben Freude daran, sich auf ihre Entdeckungen zu konzentrieren. Sie gehen ganz instinktiv mit ihren Grenzen um und erreichen so nahezu immer das für sie bestmögliche Ergebnis. Und dann? Dann werden wir älter.
Vom kindlichen Entdecken zu ersten Selbstzweifeln
Wenn Kinder heranwachsen, treten sie auch in unsere Gesellschaft ein. Sie sehen, dass auch andere um uns herum Bilder malen, auf Baumstämmen balancieren, Fußball spielen. Sie erkennen, dass sie nicht die einzigen sind, die singen, tanzen, lesen, schreiben, rechnen können, und fangen an sich zu vergleichen.
Oftmals ist hier der Wendepunkt im Mindset begründet. Denn Kinder vergleichen sich nicht nur, sie ordnen sich auch instinktiv ein. „Ich kann das nicht, ich habe kein Talent, ich werde nie so gut sein wie …“ All diese Glaubenssätze begrenzen und sind Gift für Antrieb und Lernerfolg.
Das Mindset ist veränderbar, und zwar zu jedem Zeitpunkt
Die gute Nachricht, es muss so weder kommen noch bleiben. Denkmuster entstehen durch Denken und können genauso auch wieder geändert werden. Diesem Ansatz widmete die Psychologin Carol Dweck über 30 Jahre Forschung und entwickelte dabei praxisnahe Strategien, wie wir unser Denken bewusst in eine positive Richtung lenken können.
Dweck vereint ihre Methoden unter dem Begriff Growth Mindset, mit dem es möglich wird, eigene Grenzen im Denken zu sprengen, um über sich hinauszuwachsen. Der Gegenspieler ist das Fixed Mindset, in dem wir daran gehindert werden, neues zu erlernen oder bestehende Fähigkeiten auszubauen.
Neues Denken für mehr Erfolge
Growth Mindset ist geprägt von dem Glauben an die eigene Entwicklungsfähigkeit, einer Überzeugung, dass sich Mühe auszahlt und man durch Übung und Arbeit vorankommt. Anstrengung wird positiv bewertet und nicht als Versagen interpretiert.
Im Alltag zeigt sich allerdings oft das Gegenteil: Anstrengung wird gesellschaftlich schnell negativ konnotiert. Wenn ein Kind in der Schule „mehr üben muss“ als andere, wird dies nicht als Ausdruck von Fleiß und Beharrlichkeit anerkannt, sondern häufig als Zeichen mangelnder Begabung gedeutet. Statt das Durchhaltevermögen zu würdigen, wird unterschwellig vermittelt, dass etwas mit dem Kind „nicht stimmt“. Was eine wertvolle Ressource für Entwicklung ist, nämlich dranzubleiben und Einsatz zu zeigen, wird als Defizit markiert.
So entsteht schließlich das Fixed Mindset, das Erfolg eng mit Intelligenz und Talent verknüpft. Diese angeborenen Merkmale werden hier als unumstößlich und limitierend betrachtet. Herausforderungen werden gemieden, Scheitern wird auf mangelndes Talent zurückgeführt.
Im Growth Mindset dagegen begrüßen Menschen neue Herausforderungen. Das Verlassen der eigenen Komfortzone macht keine Angst, denn Fehler werden hier als Chance betrachtet dazuzulernen, nicht als Makel. Vor allem für Kinder ist diese Denkhaltung oft der Durchbruch im Schulerfolg. Moderne Pädagogik vermittelt deshalb heute den Ansatz, Fehler als Freunde zu betrachten.
Ist der Mensch erst einmal im Growth Mindset angekommen, multiplizieren sich die Vorteile. Feedback kann aus dieser Denkhaltung heraus viel besser angenommen werden, weil es als hilfreiche Information für die persönliche und berufliche Entwicklung angesehen wird. Die Leistungsfähigkeit und Resilienz wachsen und der Mensch erreicht seine Ziele deutlich schneller.
Growth Mindset praktisch leben
- Ein Growth Mindset umzusetzen beginnt mit Selbstbeobachtung: Achte bewusst darauf, wie du auf Herausforderungen, Fehler und Rückschläge reagierst. Anstatt zu sagen: „Ich kann das nicht“, formuliere aktiv um: „Das kann ich noch nicht. Was brauche ich, um es beim nächsten Mal besser zu machen?“
- Lobe Einsatz vor Talent: Werte die innere Einstellung stärker, indem du Fortschritte und Lernbereitschaft anerkennst, statt nur die natürliche Begabung zu würdigen. Damit rücken Fleiß, Beharrlichkeit und Einsatzbereitschaft in deiner Bewertung auf eine Stufe mit angeborenen Fähigkeiten, wenn es um die Erreichbarkeit von Zielen geht.
- Üben, ausprobieren, wachsen: Schaffe bewusst Raum, Neues zu testen. Erlaube dir Fehler und sieh sie als Helfer, die dir zeigen, worauf du achten musst. Schau genau hin, lerne aus ihnen und nutze sie, um dich besser auszurichten. Jeder Versuch gibt dir Orientierung und bringt dich Schritt für Schritt weiter.